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Analogfan

Absolutes Gehör

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Hallo Forum,

 

ich lese des öfteren hier und auch in anderen Foren den Begriff "Absolutes Gehör" und dessem falschen Verständnis.

Der Begriff A.G hat weder etwas mit gutem Gehör noch mit Hifi zutun!

Ich möchte in den nächsten Zeilen einmal erklären, was absolutes Gehör ist:

 

 

Was ist absolutes Gehör?

Das läßt sich am besten an einem Beispiel erläutern. Eine Versuchsperson mit absolutem Gehör steht mit dem Rücken zu einem Klavier. Der Versuchsleiter spielt eine zufällig ausgewählte Note. Die Versuchsperson benennt diese, oder dreht sich um und zeigt ohne zu zögern auf die richtige Taste. Wenn Fehler auftreten, dann meistens nur um einen Halbton ? oder gleich um eine Oktave, denn der Absoluthörer identifiziert die Tonhöhenklasse (und in einer Klasse sind eben alle Cs, das eingestrichene wie das tiefe), nicht die Tonhöhe an sich. Versuchspersonen ohne absolutes Gehör würden sich bei der gleichen Aufgabe nach längerem Zögern für einen Ton entscheiden, und dieser ist dann meistens etliche Halbtöne neben dem richtigen Ton.

 

Nur wenige Menschen verfügen über ein absolutes Gehör, ungefähr einer aus 10000. Die Seltenheit des Phänomens, sowie der Umstand, daß einige der bekanntesten klassischen Komponisten (Mozart, Beethoven) Absoluthörer waren, hat zu einer gewissen Mystifizierung beigetragen. Zudem zeigt sich diese Fähigkeit oft in früher Jugend, längst bevor eine gründliche Musikausbildung erfolgte, was Assoziationen zu genialen Wunderkindern nahelegt. Dabei ist ein absolutes Gehör für die Musikausübung nicht notwendig. Die meisten Komponisten und Musiker kamen und kommen ohne absolutes Gehör zurecht. Auch ist es keineswegs eine Garantie für Musikalität. Es setzt allerdings eine gewisse Beherrschung unseres Musiksystems voraus: Wer keine Noten lesen und kein Instrument spielen kann, kann sein absolutes Gehör nicht unter Beweis stellen. ? Ist absolutes Gehör eine wünschenswerte Eigenschaft? Der Nutzen für Musiker hält sich in Grenzen: Sie können ihr Instrument ohne Stimmgabel stimmen. Gelegentlich wird berichtet, daß Menschen mit absolutem Gehör darunter leiden, wenn eine Aufführung eines Musikstücks nicht in der ?richtigen? Tonhöhe erfolgt. Musiker, die mit verschiedenen Ensembles spielen, in denen verschiedene Stimmungen üblich sind, empfinden absolutes Gehör gelegentlich als Nachteil. Trainingsprogramme für Vorschulkinder, wie sie vor allem in Japan und den USA angeboten werden, sind daher eher skeptisch zu betrachten. Musikalische Früherziehung ohne Schwerpunkt auf Absoluthören ist sicher für eine spätere Musikausübung fruchtbarer.

 

Lange Zeit war man davon ausgegangen, daß Absoluthörer sich von anderen vor allem durch ihr Langzeitgedächtnis für Tonhöhen unterscheiden. Inzwischen weiß man, daß die meisten von uns ein recht gutes Langzeitgedächtnis für Tonhöhen haben. So gelingt es uns in der Regel, die Tonhöhe unserer Türglocke oder eines anderen häufig erklingenden Ton konstanter Tonhöhe zu antizipieren. Daniel J. Levitin hat Psychologiestudenten dazu aufgefordert, Musikstücke ihrer Lieblingsgruppe zu singen. Es zeigte sich, daß zwei Drittel der Studenten die richtige Tonhöhe der Melodie im Rahmen der Genauigkeit eines Ganztons wiedergeben konnten. Wichtig ist hierbei, daß Musikstücke von Rockgruppen in der Regel nicht transponiert wiedergegeben werden. Volkslieder und Schlager werden hingegen in allen möglichen Tonarten dargeboten, so daß hier sich kein Standard für die ?richtige? Tonhöhe ausbilden kann. Zum Selbsttest eignen sich gut Melodien der Werbung, die kurz und einprägsam sind und ebenfalls nur in einer Tonhöhe zu Gehör kommen.

Der Test ist einfach: Sobald man eine Werbung hört, deren Melodie geeignet erscheint, spielt man die Melodie auf einem Instrument nach, um die Tonhöhe des Originals festzustellen. Dann schreibt man sich genügend Details über die Werbung sowie die richtige Tonhöhe auf einen Zettel. Am nächsten Tag ruft man sich mit Hilfe des Zettels die Werbung in Erinnerung. Wichtig ist, daß man nicht gleich lossingt, sondern sich den Klang zuerst deutlich vorstellt. Dann kann man die Melodie singen, und am Instrument überprüfen. Es funktioniert erstaunlich gut.

 

Wenn es also nicht das Langzeitgedächtnis für Tonhöhen ist, was unterscheidet dann den Absoluthörer von anderen? Ein geübter Musiker kann sich eine besondere Tonhöhe merken, z. B. die Tonhöhe seiner Stimmgabel. Wenn man ihm eine andere Tonhöhe bietet, kann er diese in Relation zu der seiner Stimmgabel setzen und daraus die dargebotene Tonhöhe bestimmen. Aber selbst nach viel Training wird das nicht so zügig und unmittelbar gehen wie bei einem Absoluthörer, bei dem dies dazu noch keinerlei Anstrengung erfordert. Einen echten Absoluthörer erkennt man nicht nur an der niedrigen Fehlerrate, sondern auch und vor allem an der niedrigen Reaktionszeit. Zu der Langzeitrepräsentation von Tonhöhen muß offensichtlich auch die feste Assoziation von Notennamen kommen. Diese wird im Vorschulalter wesentlich leichter erworben als später ? es gibt nur wenige Beispiel von Absoluthörern, die diese Fähigkeit als Erwachsene erwarben. Die Bedeutung der Notennamen für das Phänomen des absoluten Gehörs wird auch deutlich aus einer Untersuchung von Schlaug und Kollegen (Schlaug et al., 1995), bei der gezeigt wurde, daß Absoluthörer im linken Temporallappen ein vergrößertes planum temporale aufweisen. Diese Region ist auch für Sprache zuständig.

 

In unserem westlichen Musiksystem spielt die absolute Tonhöhe eines Tons meistens keine wichtige Rolle. Wichtiger ist die Generalisierung der relativen Tonbeziehungen: Ein Lied soll auch in einer anderen Tonart als dasselbe Lied erkannt werden, und sogar innerhalb eines Musikstückes (z. B. Sonate) sind Transponierungen des Themas üblich. Eine Melodie an ihren relativen Tonhöhen zu erkennen, ist eine kognitive Leistung, die erst erworben werden muß. Nicht allen ist das möglich: So wird bei geistigen Behinderungen auch einer Art absoluten Gehörs beschrieben, bei dem eben nur eine Version eines Kinderlieds als richtig empfunden wird. Aber auch für musikalische Absoluthörer wird gelegentlich ein Nachteil beim Hören von relativen Tonhöhen, also beim Identifizieren von Intervallen beschrieben. So dauert es beim Absoluthörer länger, bis er eine Quarte identifiziert hat, wenn diese aus ?falschen Tönen? aufgebaut ist, also aus Tönen, die seiner absoluten Skala fremd sind; z. B. ein verstimmtes C und die perfekte Quarte dazu. Die ungleich höhere Gewichtung der relativen gegenüber der absoluten Tonhöhe erklärt vielleicht, warum so wenige Menschen diese Fähigkeit entwickeln. Aber vielleicht wird sich diese Gewichtung in Zeiten erhöhten passiven Musikkonsums mit standardisierten Tonkonserven hoher Qualität auf Dauer etwas relativieren.

 

 

Ich hoffe ich konnte ein bisschen aufklären.

 

 

 

;-) gruss

 

Thomas

 

 

 

 

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Hi Thomas,

 

tatsächlich bietet das aboslute Gehör auch enorme Vorteile z.B. für Klavierstimmer, da gerade bei den hohen Tönen das genaue Stimmen äusserst schwierig ist, da jeder Ton mehrer Saiten hat. Da ich selbst mal Musik studieren wollte, weiss ich das Musiker in der Regel ihr Gehör trainieren. Nicht jeder muss in der Lage sein, ohne einen "Orientierungs"-Ton gehört zu haben Töne zu erkennen. Aber zB gehörte zu unserem Training Notendiktat, dh es wurde eine Melodie gespielt und man musste die Noten dazu aufschreiben. Aber auch umgekehrt ist es für Musiker wichtig, Melodien vom Blatt singen zu können. Und genau wie Du schreibst: Hierbei ist in der Regel für die Entstehung der Musik die korrekte Tonhöhe/Tonart weniger wichtig als die Relation der Töne/Intervalle untereinander. Opti ist natürlich beides.

 

Obwohl ich sehr geübt hierin bin muss ich allerdings zugeben, dass es mir bei Hörtests oder Beurteilung von Hifi-Komponenten noch nicht geholfen hat, da hier ja Tonarten, Intervalle und Interpretation vorgegeben sind und es mehr um die Charakteristik der Komponenten geht....

 

Gruss meikii

 

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